selbst beim Malen 2011 

HAZ 25. Februar 2011

Gudrun Ensslin gab ihm einen Korb

Maler, Fotograf, Autor: Hans-Jürgen Schmejkal beherrscht viele Arten sich auszudrücken

Derneburg (am). Er ist ein Besessener, sagt er. Und eine seiner Triebfedern sei die Angst. Das sagt Hans-Jürgen Schmejkal. Der Derneburger ist Maler, Fotograf und Autor. Er lebt direkt neben dem Glashaus, gleich gegenüber steht das Derneburger Schloss. Mit dessen einstigem Besitzer, Georg Baselitz, wollte er sich mal anfreunden. Aber daraus wurde nichts. Warum Gudrun Ensslin mit ihm nicht tanzen wollte, weshalb er einst Kriminelle in Berlin bediente und was es mit seiner Angst auf sich hat – Schmejkal weiß viel zu erzählen.

In der zweiten Etage des Fachwerkhauses hat sich Schmejkal sein Atelier eingerichtet. Gegenüber der Fensterfront steht seine Staffelei, gleich daneben lehnen großformatige Bilder an der Wand. Die Farben sind intensiv, strahlen Energie aus. Unzählige Farbkleckse auf dem Fußboden zeugen von Arbeit mit Acrylfarbe und Pinsel. Die anderen Wände des Raumes sind gefüllt mit Bücherregalen. Ein Blick auf die Titel verrät, dass hier ein vielseitig interessierter Mensch lebt. „Adieu Picasso“, „Familiengeheimnisse“, „Zen-Kunst“, „Die Heilung des Selbst“, „Astrologisches Lexikon“ und auf dem Tisch am Fenster die „Anleitung zur Weltverbesserung“ – ein weites Feld. Auf einem thronähnlichen Stuhl aus Bambusrohren hat Schmejkal Platz genommen. Ein Mitbringsel aus seiner Zeit in Indien? „Nein, vom Sperrmüll hier im Ort“, sagt Schmejkal und grinst. In den 60er Jahren bereiste er die Welt,, war in Indien, wanderte zu Fuß in Richtung Himalaya, erkundete Persien, sammelte Eindrücke, Stühle brachte er nicht mit.

Von Haus aus Schmejkal Architekt, studierte in Hannover und Berlin. Nach dem Abschluss des Studiums beschloss er nie wieder eine Hochschule zu betreten. Denn dort war die Angst ein besonders präsenter Begleiter. Um nach den Ursachen der Angst zu forschen, war die Zeit allerdings noch nicht gekommen.

„Ich bin einfach in den Untergrund abgetaucht“, sagt Schmejkal. In der Potsdamer Straße, Berlins Rotlichtmilieu, kellnerte der damals junge Mann mit den langen blonden Haaren in einer Kneipe, in der nicht nur die Wirtin, sondern auch so „ziemlich alle Gäste kriminell“ waren. Ob Messerstecherei oder hemmungsloser Sex – in dem Etablissement gab es nichts, was es nicht gab. Die Gewalt und die damit verbundene Angst um das eigene Leben hielt er aus – irgendwie. „Angst auszuhalten, das ist ein einfacher Weg. Sich damit auseinanderzusetzen, das ist schwer, urteilt er.

Woher seine Angst kommt? Heute weiß er es. 20 Jahre Therapie kostete ihn der Weg zur Erkenntnis und der Umgang mit dem neuen Wissen: 1943 war Familie Schmejkal von Königsberg aus in Breslau gelandet. Der letzte Zug aus Greifenhagen fuhr gen Westen. „Das ganze Kollektiv hatte Angst, vernichtet zu werden und rannte zum Zug“, erinnert sich Schmejkal. Auch er, seine zwei Brüder und die Eltern. Im Gewimmel jedoch gingen die Kinder verloren. Eine halbe Stunde später war die Familie zwar wieder vereint. Doch der Schock beim kleinen Hans saß tief. Dieses Gefühl, sich auf die Eltern nicht verlassen zu können, nicht mitgenommen zu werden, manifestierte sich, wuchs sogar von Jahr zu Jahr. „Und das, obwohl ich wusste, dass meine Eltern mich natürlich liebten“ sagt er.

Aber das Kriegstrauma saß. Wie auch bei seinem Kollegen Georg Baselitz, der als Kind ebenfalls die Grauen des Krieges erlebte. „Ich habe gegen meine Angst gearbeitet, Baselitz transportiert seine in die Bilder“, analysiert der 69-Jährige. Die Männer hätten sich austauschen, hätten Freunde werden können, als Schmejkal 1984 nach Derneburg zog. Er unternahm auch einen Anlauf. Er klingelte an der Schlosspforte, wollte sich auf eine Tasse Tee einladen. „Keine drei Minuten, dann stand er wieder vor der Tür.“ Nichts mit Freundschaft. Gern erzählt Schmejkal von seiner Zeit in Berlin. Einer wilden Zeit, in der 1966 das erste Mal heiratete, Sohn Simon auf die Welt kam. Natürlich wohnte man in einer Wohngemeinschaft, Treue war nicht das erste Gebot, daran zerbrach die Ehe nach fünf Jahren. „Bei uns gingen Rudi Dutschke, Gudrun Ensslin und ihr damaliger Lebensgefährte Bernward Vesper ein und aus“, erzählt Schmejkal. Mit Vesper sei er durch einen Park spaziert, redete mit ihm über die Revolution. „Na, er brachte sich um, und ich wurde Künstler“, sagt Schmejkal. Und die Ensslin? Die spätere RAF-Terroristin verweigerte ihm bei einer Party mit den Worten „Du bist mir zu bieder“ einen Tanz. Wer weiß, wozu es gut war? Auch dass aus seiner Karriere als Pornofotograf nichts geworden ist. 1968 sollte er die Belegschaft einer Druckerfirma fotografieren – alle nackt. Die Bilder sollten auf einer Sexmesse in Berlin verkauft werden. Die Messe fand aber nie statt. „Das war schon eine wilde Zeit“, resümiert der Derneburger.

Mit seiner zweiten Frau bekam Schmejkal zwei Söhne, Johann und Fabian. Der Vater wurde Hausmann, malte jeden Mittwoch ein Bild und steuerte durch den Verkauf „einen Tausender im Monat“ zum Lebensunterhalt bei. Die beiden älteren Jungen wählten ebenfalls kreative Berufe, sind Kameramänner geworden. Simon dreht Tatorte, Johann stand beim „Dschungelcamp“ hinter der Kamera. Fabian ist Computerfachmann. Das erzählt er mit einem leisen Lächeln. Auf die Jungen ist er schon mächtig stolz. Na, und dass sie ihn schon zum vierfachen Opa gemacht haben, findet er auch klasse.

Seine Geschichten hat er aufgeschrieben, insgesamt 20 Bücher verfasst. Einige handeln auch von der Geschichte Derneburgs, seiner Heimat. Dort malt er seine Kunstwerke, für die er mal wenige Stunden, mal ein paar Tage braucht. Nebenbei kümmert er sich um die Grünanlage am Glashaus und Ordnung im Dorfgemeinschaftshaus. Und wenn es finanziell mal knapp werden sollte, dann könnte sich der ausgebildete Therapeut und Heilpraktiker auch noch selbstständig machen. „Das ist meine Altersversicherung“, sagt er.

Alt wirkt er nicht. Obwohl schnell klar wird: So viele Erlebnisse passen in kein junges Leben. Schmejkal wird im April 70 Jahre. Klar, dass er nicht an einer gediegenen Kaffeetafel feiern wird. Ein Straßenfest mit Musik, Clowns und Kunst – so sieht die Feier eines junggebliebenen Alt-68ers aus.

 

"Gudrun Enslin gab ihm einen Korb" - HAZ vom 25.02.2011

  

Hans-Jürgen Schmejkal | Schlossstr. 16 | 31188 Holle

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