nichts grausamer als lebendem Wesen Struktur zu verpassen doch es muss sein denn zwischen Wesen und Struktur besteht Co-Abhängigkeit
nichts zu machen: eines nicht ohne anderes eins bedarf des anderen neoliberale, individualistische Unabhängigkeit gibt es nur in neofaschistoiden Köpfen
Einem sensiblen Künstler angemessen wäre, gemäß der Leidenschaft zum Weibe eines abenteuerlichen Lebens Drama poetisch souverän aufzurollen. Ebenfalls reizvoll wäre in einem sanft schizoiden Fall wie in meinem entlang der Namensgebungen von Seiten der Weggefährten eine Lebensgeschichte zu erzählen: Hans, Gustav, Leo, Jo, Zaro, Sesoman, Ichson, Tschinco, Veda. Wagen wir‘s dennoch seminüchtern Zeit bezogen.
Geboren? Scheinbar und körperlich 1941 in Königsberg, Preußen, im Zeichen von Widder und Sonnenrad, Krieg. 1945 – Flucht, traumatischer Todesschock, der schicksalhaft auf den Grund der jungen Persönlichkeit sinkt. Folge: Urmisstrauen. Zahnfleischbluten. Schamvolle Distanz dem bedrohlichem Rest der Welt gegenüber, Wohl- wie Übel Wollendem. In den Fünfzigern plötzlich aus allen Ritzen der Trümmer Wiederaufbau, allerdings selten echten Bedürfnissen entsprechend, stattdessen glänzend sperrig überfließender Schickschnack, zwanghafte Lebensfreude. Roter Schlips, Pepitahosen und Petting. Pilles Brüste. Am Alkohol nippen bis zur Kante.
Frühe Malfreuden werden von entsprechend zuständigen Kunstlehrern unterstützt. Während der Bundeswehrzeit Selbstmordvisionen und gnadenloser Zynismus. Die Nähe des Weibes bringt mich auf andere, vor allem natürlichere Gedanken. Hochzeit und ein Sohn. 1968 Machtchaos auf der Straße, Gefühlschaos innen. Dennoch 1969 erfolgreiches Examen als Diplom Ingenieur Architekt, TU Berlin. Auf der Suche nach Vater und Sinn 1970 – 1972 Soziologischer Beirat der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Doch weiterer Irrtum und Fall. Theaterfotograf, Pornofotograf, Straßenastrologe. Erfahrungen mit Drogen und neuen, nicht ungeilen Musen bringen mich erneut an den Rand eines zunehmend bedrohlichen Abgrundes.
Ausweg: hinausgehen. 1972 – nimm Abschied und gesunde. Istanbul, Antalya, Damaskus, Beirut, Bagdad, Teheran, Kuwait, Basra, Isfahan, Quetta, Kandahār, Kabul, Neu Delhi, Vārānasi, Katmandu. Auf den endlosen 300 Stufen zum buddhistischen Heiligtum Swayambhunath die blitzartige Erkenntnis: allein gehen, statt klagen und anklagen. Selbst verantwortlich: für das,was ich anrichte, und ebenso für das, was mir geschieht. Heilige Hochzeit zwischen weiblicher und männlicher Energie erfährt sich als Glückseligkeit. Der Name des Heiligtums heißt übersetzt: aus sich selbst geboren werden. Exakt der Untertitel zum transformierenden Lichtereignis. Weitere Irrwege als Drücker einer rücksichtslosen Lebensversicherung und als Manager der Rockband Lava.
Avanciere mittlerweile als blond gelockter, hochhackiger, schwarz belederter, besamteter Platzhirsch und Kellner im Rotlichtmilieu zum "Liebsten Phall", bis Blut und Blaulicht kommen. Doch erneut derart lebensgefährlich, dass mich wiederum nur eine weibliche Begleiterin davor bewahren kann, bodenlos abzustürzen. Abermals Hochzeit und zwei weitere Söhne. Seit 1974 male und schreibe ich regelmäßig. Für mich absolut existentiell notwendig, um innere Balance zu finden. Ich male – also werde ich nicht wahnsinnig.
Seit 1980 finde ich im Buddhafeld von Osho, einem mystischer Meister aus Indien, Heilung für das innere, verletzte Kind. Lerne zusehends die heitere Kunst, dort sehnsuchtsfrei zu leben, wo ich ohnehin auf Grund unübersehbarer Tatsachen und dharmisch-karmischer Gesetzmäßigkeiten bin. Niemand, also glücklich. Zweite Geburt: sat - chit - ananda.
Auf dem fürstlichen Brennereigut Astenbeck im Lande Niedersachsen finde ich, erdverbunden und meditativ in eins, Arbeit, um materiellen Grund zu finanzieren. Luxuriöse Weite und heilsame Stille leiste ich mir vorwiegend beim Malen und durch Malen. Ebenfalls durch Tanzen. Ebenfalls indem ich Sterne schaue. Ebenfalls in den Augen der Geliebten.
Zum einfühlsameren Verständnis feinstofflicher Felder in mir und zwischen sensiblen Menschen werde ich 1998 eingeweihter Reiki-Mann und bestehe zudem die staatliche Prüfung zum psychischen Heilpraktiker.
Entsprechend einem x-beliebigen, narzisstisch ästhetischem Modeprogramm einfach so drauflos zu malen, läuft bei mir nicht. Da fallen Bilder von den Wänden und Farbtöpfe um. Ob durch mich entstanden oder von anderen hervorgebracht, Bilder erlebe und verstehe ich bezogen auf psychische Entfaltung göttlichen Potentials im Menschen. Destruktivität und Banalität halte ich eher für heilungsbedürftig, denn für neue Kunstrichtungen. Das Schöne, Wahre, Gute in der Kunst bedeutet mir etwas im Leben. Hässliches ebenfalls. Male vorwiegend im Schlaf und wie im Schlaf. Ablenkende, zerstreuende Unterhaltung nervt. Echte Kunst klärt - wie frische Luft und der Blick ins Weite.
Zum Beispiel: 11. September 2001
Fühle mich verbunden, auch mit denen, die mich bedrohen. Deshalb basiert mein Verständnis der Katastrophe vom 11. September auf der Grundtatsache, dass Menschen westlicher Prägung und Menschen muslimischer Prägung im selben Boot Erde sitzen. Deshalb erlebe ich das Beziehungsdrama, das zurzeit zwischen den beiden Hauptdarstellern der jeweiligen Lager, nämlich George Bush als Repräsentant technologischen Wohlstandes und Bin Laden als Repräsentant mythisch-religiöser Armut blutig ausgetragen wird, als Drama einer langen, etwa zweitausend Jahre alten gemeinsamen Geschichte. Zwei unterschiedliche Ansätze von Selbst- und Weltverständnis werden seither von ihren Anhängern in harte Realität verwandelt.
Um den Tischlersohn Jesus bildet sich die Gruppe derer, die Göttlichkeit als in der Welt nachvollziehbar erleben. Das Trinitäts-Konzept: Gottvater erschafft (und zerstört) die sichtbare Welt. Allmacht Gottes ist identisch mit der Ohnmacht des Menschen. Der Mensch hat keine Wahl, ist formbare Masse in den Händen des großen Gestalters von außerhalb der Welt. Gottes Sohn repräsentiert Versöhnung mit dem Unerreichbaren, indem er den Menschen an den Ursprung zurück begleitet: werdet wie die Kinder. Der Heilige Geist organisiert das Beziehungsdrama als Evolution zum Licht. Typisch christlich: Göttlichkeit offenbart sich transzendent und immanent in eins. Die Gotteserfahrung von Jesus basiert ähnlich wie bei Buddhisten wesentlich auf Mitgefühl. Göttlichkeit sei gleich Liebe, für dich sei allemal gesorgt, frohlocke. So das Konzept des Bruders in der Familie der Gotteskinder.
Grob gesehen gleichzeitig erlebt und artikuliert einige Hügel weiter am östlichen Mittelmehr der Analphabet Mohamed seine Gotteserfahrung. Die Essenz seiner Vision malen seine Anhänger in den Felsendom in Jerusalem. „Gelobt sei Gott, der keinen Sohn hat und keinen seinesgleichen. Er ist Gott, einzig und ewig. Er zeugt nicht noch ist er gezeugt …“ Typisch muslimisch: Göttlichkeit als schiere Transzendenz ohne weltliche Komponente. Allah, der große Unerreichbare. Einzige Alternative: akzeptieren oder vernichtet werden. Kein an Gott leidender Vermittler. Mohammed sagt prophetisch kämpferisch an. So das Konzept des Gotteskriegers.
Zwei Gangarten zum Heil also: der Weg des Kriegers und der Weg des Bruders. Alle Wege führen zum Einen.
Doch in der Welt (der Unterschiede) beginnt das Projekt Heilfindung und Selbstergänzung von Anbeginn unterschiedlich. Krieg oder Debatte der gläubigen Suchenden darüber, welches der bessere Weg sei, völlig müßig, weist auf imperiales Kompetenzgerangel egomaner Muster. Die Verbindung von Religiosität und Macht führt zwanghaft und zwangsläufig zum blutigen Desaster. Ob man nun individuell eher auf Sieg setzt oder auf Kommunikation, finde jeder für sich selber und verantworte alles, was daraus real folgt.
Was ist meine Entscheidung? Aufgrund ganz persönlicher Gipfelerfahrung tendiere ich zur mitfühlenden Seite. Äußerlich gekämpft habe ich meiner schizoiden Persönlichkeitsstruktur wegen eh nie. Bin gegenwärtig kein Anhänger mythischer Religionen, wie ich die organisierten Weltreligionen Islam und Christentum gleichermaßen verstehe, sondern individuell a-religiös: liebe Freiheit – jenseits aller Dogmen – jetzt, hier: aufgrund ganzkörperlicher Erfahrung. Dogmen halte ich für durchaus sinnvolle Meilensteine auf dem Wege, doch da bin ich derzeit nicht. Bestenfalls könnte ich als initiativ begleitenden Wortwink akzeptieren: Werde, was du bist. Doch im Innersten gibt es für mich nichts zu glauben, nichts anzusagen, nichts in Zukunft und Jenseits zu projizieren. Es ist alles da, was ich jetzt brauche. Muss nirgendwohin.
Eine solche Freiheit des mitfühlenden Geistes verdanke ich allerdings nachvollziehbarer, vorwiegend europäischer Entwicklungsgeschichte, die dann zu wohl gegebener Zeit in globale Einsicht überging. Das Erstaunliche daran ist, je globaler ich mitfühle und denke, desto lokaler werde ich. Entfaltung bedeutet für mich nicht, abschließen durch ausschließen vorangegangener Entwicklungsstufen, sondern versöhnlich umarmen, integrieren. Frühere Stadien der Entfaltung bleiben spontan erreichbar. Aus dem Stand kann ich Kind sein und unschuldig mich fühlen wie ein Kind. Bleibe also Europäer, auch wenn, besser, erstrecht weil ich mich als Weltbürger fühle. Nicht nur das, ich bleibe auch Neandertaler, auch wenn ich Goethe lese. Echte Kultur schließt nämlich Unkultiviertes ein, nicht aus. Echte Zivilisation schließt Barbarei ein, nicht aus. Es kommt auf Verwandlung ursprünglicher, elementarer Kraft an, nicht auf deren Beseitigung. Deshalb kann ich ernsthaft an einem mythischen Krieg zwischen Zivilisation gegen Barbarei oder Fundamentalismus gegen den ungläubigen Rest der Welt wie er gegenwärtig zwischen christlich-technischem Wohlstand und muslimisch-fundamentalem Terror stattfindet, nicht teilnehmen. Ich muss niemanden bekehren, niemanden ändern, niemanden killen. Bedroht fühle ich mich gleichermaßen vom neoliberalen Raubtierkapitalismus der Reichen wie vom religiösen Fanatismus der Armen.
Nur mal angenommen, jemand hat vor, mich zu killen, so werde ich aus dem Stand zum Neandertaler, zum Hightech-Hacker oder zum postmodernen Philosophen, letzteres um mich unsichtbar zu machen, je nachdem, welche Waffe, welches Spiel hervordrängt. In bislang seltenen Fällen werde ich unter unmittelbarer Bedrohung einfach still, gebe bis in die letzte Zelle meines Wesens auf: und siehe, es geschieht ein Wunder – im erlösend kreativen Sinne aller Beteiligten, im Sinne des Lebenden. Die Botschaft einer solchen Erfahrung heißt: Es gibt nichts zu tun, es geht nicht um Sieg oder Niederlage, gib auf, im wirklich entscheidenden Moment hör auf zu kämpfen, fühle, was geschieht: Leben sorgt für sich selber. Wesentliches geschieht von selber. Orgasmus. Urvertrauen ...
Obwohl die Kindheit in meinem Fall mitten in die nationalsozialistische Katastrophe fällt und mir ein entsprechendes Trauma angehängt wird, drängt, solange ich denken kann, alles in mir nach Freiheit. Offensichtlich sind Ohnmachtserfahrung und Freiheitsdrang co-abhängige Partner eines durchaus effizienten Beziehungsdramas. Deshalb wirken kleinste Hinweise auf Befreiung des Individuums auf mich wie Drogen: jenseits von Erklärung und Vernunft fühle ich mich hingezogen, aufgesogen, mitgerissen, verwandelt und erneut zur Bewährung in beinharten Alltag hinausgeworfen. Zunächst drängt’s mich aus konventionell geordnetem Haus hinaus in wilde Natur. Abenteuerspielplatz Wald, Feuer, Wasser. Auf anderer Ebene folge ich jeder Spur von Geist wie dem Hauch einer Geliebten. Erste unüberhörbare Klingelzeichen höre und spüre ich aus Griechenland.
Meister der Achsenzeit: Pythagoras, Heraklit, Diogenes, Sokrates, in deren schöpferischem Umfeld erste Formen kreativen, menschlichen Miteinanders, erste Formen von Demokratie auftauchen. Sokrates, der freie, autonome Einzelne, jeder Macht mit heiterer Gelassenheit trotzend: erkenne dich selbst – ich weiß, dass ich nichts weiß. Aus jüdischem Umfeld höre ich: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst – und: Tu keinem an, was du nicht möchtest, dass er dir antue. Die Freiheit des Anderen bedeutet die Grenze meiner Freiheit. Ohne Introspektion, Selbstgewahrsein und Selbstbemächtigung kommt Diktatur. Dagegen eröffnet Freiheit mit bewusster Selbstbeschränkung menschlicher Entfaltung Tür und Tor. Starredner Cicero formuliert in Rom dasselbe: Seiner angeborenen Eigenart möge jeder treu sein, so weit diese nicht sittlich schlecht ist. Martin Luther kämpft mit der „Freiheit eines Christenmenschen“ gegen unmenschliche Gewaltherrschaft im Namen Gottes aus Rom.
Im Zeitalter der Aufklärung betont Voltaire 1764: „Es ist klar, dass jeder, der einen Menschen, seinen Bruder, wegen dessen abweichender Meinung verfolgt, eine erbärmliche Kreatur ist.“ Die US-Unabhängigkeitserklärung von 1776 beginnt mit den Worten: „Wir halten es für selbstverständliche Wahrheiten, dass alle Menschen gleich geschaffen wurden, dass sie alle von ihrem Schöpfer mit gewissen unabdingbaren Rechten ausgestattet wurden wie Leben, Freiheit und das Streben nach Glück …“ Lessing formuliert 1779 in seinem Theaterstück „Nathan der Weise“: „Es eifre jeder seiner unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nach.“ Französische Revolution 1789: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Grundgesetz und Menschenrechte sind seither unumstößliche Basis einer neuen, zukunftsfähigen Gesellschaftsordnung zum Schutz der Individualität und Toleranz im Umgang mit anderen. Evolution im Doppelpack: Freiheit und Würde des Menschen.
Klar, die Griechen leisteten sich Sklaven, Römer repräsentierten mythischen Imperialismus, Christen verübten Völkermord und amerikanische Hardliner streben nach uneingeschränkter ökonomischer Weltherrschaft. Die gesamte Geschichte strotzt bis zu diesem Moment vor Heilungsbedürftigkeit. Dennoch strahlt durch alle Epochen simultan mit dunkelsten Machenschaften der leuchtende Strahl freien und befreienden Geistes.
Wir sind auf dem Wege … Am Anfang stehen Meister erleuchteten Bewusstseins …Das „Projekt der Moderne“ heißt Demokratie: Freiheit zur Selbstbeschränkung, persönliche Freiheit des Individuums, das in Interdependenz, im Miteinander mit Du und Welt wirkt und sich verwirklicht. Arbeiten wir daran, jeder dort, wo er steht und sich betroffen fühlt.