Veröffentlicht von Martina Prante am 8. August 2018.
Derneburg - Das erste Mal – im wahrsten Sinne – auf die Tube gedrückt hat Hans-Jürgen Schmejkal am 20. November 1974. Damals beschloss der 33-Jährige, 50 große Ölbilder zu malen, und zwar immer mittwochs. Gern in Gesellschaft einer nackten Frau als Muse. Das Ergebnis solch einer Séance, bei der ihm 20 glimmende Weihrauchkegel im dunklen Raum Sicht und Atem nahmen, heißt „NO“, „weil sich das Modell nicht widersetzt hat“. Lacht er rückblickend auf den Kunst-Trip.
Früher waren es Drogen, später oft genug Alkohol, heute ist es zum Beispiel Musik, mit der Hans-Jürgen Schmejkal seinen Kontrollapparat ausschaltet und abtaucht in eine Welt aus Farben und Konturen. „Elvis und Beethovens Neunte, gleichzeitig und richtig laut“, beschreibt der Künstler aus Derneburg eines seiner Rezepte für rauschhaften „Sinnensalat“: „Der Farbenrausch geht durch mich hindurch wie ein Wind.“
Ein anderes Rezept sind die Stimmen, die ihn begleiten: „Ich kann sie anknipsen und benutze sie gern als Quelle“, beschreibt der 70-Jährige die positive Seite seiner schizoiden Persönlichkeitsstruktur. Ein drittes Rezept sind Menschen, die ihm einen Auftrag für ein Porträt geben und „entweder schreiend davonlaufen oder begeistert sind“.
Wildes Leben
Was ein bisschen schräg klingt, ist das Ergebnis eines wilden, nicht immer selbst bestimmten Lebens, das Schmejkal von Breslau über Baddeckenstedt, Indien und Berlin nach Derneburg geführt hat. Seit 27 Jahren zeigt er einmal pro Jahr seine furiosen Gemälde von – verkürzt gesagt – Frauen, Blumen und Buddhas im Glashaus. Und er sorgt dort als Hausmeister für Ordnung. In 46 Bücher hat Schmejkal sein Schaffen publiziert und steht weiter täglich vor der Leinwand.
2386 Bilder hat er bis zum Zeitpunkt des Gesprächs gemalt. Das weiß er ganz genau. Denn jedes seiner großformatigen Arbeiten ist gekennzeichnet, mit Datum – „Ordnung muss sein bei dem Chaos.“ – und Titeln wie „Geliebte des Drachens“ oder „Ursprung der Welt“: „Die Bilder sind wie ein inneres Tagebuch, ich male ja nicht nur so.“ Ein Drittel hat er verkauft, die anderen stehen im Wohnraum und auf dem Dachboden „und sind mir ausgeliefert“. Denn was nicht weg ist, wird immer und immer wieder übermalt. „Ich beherrsche viele Techniken und male alles, die ganze Skala von gegenständlich bis Nicht-Bilder“, beschreibt er die Palette.
Studiert hat Schmejkal nach dem Abitur am Andreanum, in Berlin Architektur. Als soziologischer Berater der evangelischen Kirche in Neukölln wollte er dann „mit einem revolutionären Team die Welt verändern“. Der damalige Bürgermeister Heinrich Albertz habe ihm den Zahn gezogen: „Er hat mir viel erspart.“ Also wanderte der 31-Jährige aus Unzufriedenheit mit Politik, Wissenschaft und Musik per Balkanexpress, Bussen und zu Fuß nach Indien: „Ich wollte mich entziehen. Das war mein Jakobsweg.“ In Nepal dann „wurde ich erwachsen“. Seitdem handelt der Künstler nach der Grundhaltung: „Was mich findet, ist es“. Im Buddhismus sei alles vorherbestimmt. „Man muss nur warten.“
Stammgäste aus dem Gefängnis
Das tat Schmejkal dann bis 1985 in Berlin. Traf auf seine erste Frau, hatte Kinder und ein Haus. Die Trennung traf ihn hart. Später arbeitete er als Bodyguard, als Fotograf, kellnerte im Café Bleibtreu und errechnete Stammgästen Horoskope. Las Hermann Hesse und Rilke. Und hatte eine Kneipe: „Meine Stammgäste kamen alle aus dem Gefängnis in Moabit, alle Konflikte dieser Welt saßen bei mir an der Theke, brachten sich mit Alkohol um oder vögelten sich gegenseitig.“ Oft genug musste Schmejkal die Zeche seiner Gäste bei ihnen klauen. Und er wurde zum Teetrinker. Seine Träume lebte er beim Malen aus. Irgendwann dann nicht mehr nur mittwochs.
Aber er hat das Warten überlebt. Vor allem, weil er sich unsichtbar gestellt hat, wie er erklärt. Eine Erfahrung, die aus der Flucht aus Breslau nach Baddeckenstedt resultiert: „Eine Stunde lang hab ich als Vierjähriger meine Eltern verloren.“ Ein Trauma, das Schmejkal erst 50 Jahre später verarbeiten sollte. Er absolvierte eine Ausbildung zum Heilpraktiker und Therapeuten. Hilfe zur Selbsthilfe. Seitdem hat er die Dämonen im Griff – und lässt sie für sich „arbeiten“.
„Randvoll mit Bildern“
Nach Holle kehrte Schmejkal 1985 zurück, weil seine Oma im Sterben lag. 14 Jahre später zog er nach Derneburg, „wegen Martin Ganzkow und dem Glashaus“, beschreibt er die „praktizierte Freundschaft“ mit dem Kulturbeauftragten der Gemeinde Holle. Geld verdient hat er bis vor zwölf Jahre in der Schnapsbrennerei Astenbeck – Verwandtschaft der zweiten Ehefrau. Und er hat gemalt.
„Ich bin randvoll mit Bildern, das ist meine Gegenwart geworden.“ Kunst entsteht in den Augen von Schmejkal durch Sehnsucht: „Ich kann Gefühltes komponieren.“ Dabei bleiben „die Frauen für den Mann das Rätsel schlechthin“. Das ist wohl ein Grund, dass sie so oft in seinen Bildern Gestalt annehmen. Und die Tatsache, dass er von vier Frauen (Mutter, Schwestern und Großmütter) groß gezogen worden ist: „Die Männer sind alle im Krieg geblieben.“
Allerdings male er keine Wahrheiten, betont Schmejkal: „Die ist davor. Auf der Leinwand dann sind Träume, Mythen, Geschichten, Theater.“ Bunt und in Farbe.
"Mit Sehnsucht komponieren" HAZ vom 09.08.2018
Hans-Jürgen Schmejkal | Schlossstr. 16 | 31188 Holle